Auszug aus Jenseits

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H.Scharff
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Auszug aus Jenseits

von H.Scharff am 01.12.2009 18:58

Habt ihr schon einmal den wichtigsten Menschen eures Lebens verloren? Den, für welchen ihr alles und nicht zuletzt auch euch selbst aufgegeben habt? Seid bereits in die tiefsten Abgründe dieser Welt getrieben? Wart ganz allein mit eurer Trauer und den schier endlosen Fragen? Konfrontiert mit der bitterbösen Wirklichkeit, dem Unumkehrbarem? Habt entdeckt, dass alles wofür ihr gelebt habt umsonst war? Was ihr gelebt habt, eine unaufhaltbare Lüge!
Habt schon einmal richtig geliebt?

Ich war bereits in dieser Lage, habe alles was mir etwas bedeutet hat verloren. Wusste nicht mehr wohin. Habe keine Chancen oder Möglichkeiten mehr gesehen, nur noch Wege, die alle in dieselbe Richtung geführt haben. Verzweiflung!
Ich wusste nicht mehr wie es mit mir oder meinem Leben weitergehen sollte. Wollte dieses Geschenk des Seien nicht länger in Anspruch nehmen. Wollte Flüchten! Mich nicht länger der Gewissheit des, War einmal, stellen. Nicht länger Leiden!

Doch wie ich bemerken musste, war es mit dem Abtreten des Partners aus dieser Welt, mit der Liebe noch längst nicht vorbei. Ich erhielt die Fähigkeit noch weiterhin den Kontakt mit meinem einstigen Mann Pete aufrecht zu erhalten. Konnte eine Verbindung zu ihm herstellen.
Konnte ihn sehen und mit ihm reden, ja manchmal bildete ich mir sogar ein ihn immer noch berühren zu können!

Diese Fähigkeit brachte mich schon bald wieder auf die Beine. Abend für Abend verdunkelte ich das Haus, um mich ganz der kräftigen Aura Pete´s hingeben zu können. Mit der Zeit bemerke ich, dass ich nicht nur mit Pete in Kontakt treten konnte. Auch andere verstorbene Seelen sprachen zu mir. Tote jeglichen Alters und mit verschiedenster Herkunft traten mir gegenüber. Ich beschloss aus meiner Fähigkeit Kapital zu schlagen und verkaufte meine Dienste zu einem angemessen Preis. 1000 Euro kassierte ich pro Sitzung und etwa 4 davon nahm ich Woche für Woche war. Ich konnte endlich das unbeschwerte und luxuriöse Leben führen, welches ich mir schon immer gewünscht hatte. Doch meine Begabung brachte nicht nur Vorteile mit sich. Oftmals bereitete sie mir auch eine Heiden Angst und endlose schlaflose Nächte. Es war mir zwar grob möglich zu bestimmen, mit welchen Geistern ich in Verbindung treten wollte, doch auch eine Menge ungewünschter Erscheinungen suchten mich auf. Erzählten und zeigten mir von ihren grausamen Taten, welche sie zu Lebzeiten vollführten. Nach und nach bemerkte ich den Fluch, welcher auf meiner Gabe lastete. Bekam die Nachteile zu spüren, wenn man die Lebensläufe vieler verschiedener Seelen kennt.
Musste verkraften, dass jeder Mensch, egal wie Gut und Edel er auch wirken mag, oder aus welcher Gesellschaftsschicht er auch kommt, gehörig Dreck am Stecken hat. Zwar besaß der eine mehr und der andere weniger grauenhafte Geschichten, doch in der Summe des Ganzen waren sie beinahe unerträglich! Ich war von nun an geplagt von Alpträumen und seltsamen Vorahnungen, welche ich ohne Petes Hilfe wahrscheinlich nicht ausgehalten hätte. Ich nahm nur noch wenige Kunden im Monat an, da ich mir nicht noch mehr, unnötige Geister ins Haus holen wollte. Das Geld reichte jedoch noch weiterhin gut zum Leben aus. Doch ich verfiel zunehmend mehr in Angstzustände und Depressionen. Litt unter Panikattacken und Wahnvorstellungen, in welchen ich mir einbildete, dass manche der Toten mich mit geschickten Fallen und Geschichten versuchten zu sich zu holen. Doch es sollte sich schon sehr bald zeigen, dass diese Wahrnehmungen keinesfalls Einbildungen, sondern die schreckliche Realität seien sollten.
An eine Geschichte kann ich mich da noch sehr genau erinnern.
Es war mal wieder ein einsamer Abend, an dem ich mir nichts sehnlicher wünschte, als meinen über alles geliebten Mann neben mir auf der Couch liegen zu haben und seine sanfte Haut, gleitend über der meinigen zu spüren. Ich versuchte also eine Verbindung zu ihm herzustellen. Doch anstelle Petes trat mir ein gewisser Ryan, ein strammer Kerl von geschätzten 30 Jahren, dessen ganzer Körper mit Brandwunden übersät war, gegenüber. Er erzählte mir, dass er schon eine ganze Weile den Kontakt zu mir gesucht und mich aus dem Totenreich beobachtet habe. Er wisse von meinen tiefsten Träumen und wildesten Fantasien. Kenne jede meiner, in den nunmehr 32 Jahren angesammelten, Angewohnheiten. Bewundere und Verehre mich. Es hätte ihn angeblich eine Menge Überwindung und Kraft gekostet, um nun letztendlich einen Weg zu mir zu finden und er verlange, dass ich mich dafür erkenntlich zeige. Es wäre das Mindeste!

Als ich ihn fragte was genau er sich darunter vorgestellt habe, antwortete er mir, dass ich nichts weiter Tun solle, als ihn einmal die Woche zu mir zu lassen, damit er sich wenigstens ab und an wieder in unsere Welt stehlen könne. Im Gegenzug dazu versprach er mir ein perfektes Leben, erfüllt von eigens von mir ausgewählten Wegen und Optionen. Es erschien mir nichts weiter daran zu sein und so willigte ich ein. Hätte ich doch damals nur gewusst auf was ich mich da einließ!


Wöchentlich



Von nun an stattete mir Ryan einmal Wöchentlich einen Besuch ab. Unterhielt sich mit mir und unterhielt mich. Er legte mir die Fehler und Schwächen seines einstigen Lebens nieder. Belehrte mich über die meinigen und versuchte mich scheinbar Stück für Stück zu bekehren, was ihm auch durchaus gelang. Ich veränderte mich schlagartig, wurde zu einem besseren, reinerem Menschen. Obdachlosen, ausgehungerten Menschen, welche am Abgrund ihrer Existenz standen und welchen ich sonst mit Ablehnung, Verachtung und Abscheu gegenübertrat, bot ich nun zum Beispiel meine Hilfe an und opferte ihnen ein wenig meines im Überfluss existierenden Kleingelds, für ihren Strohhalm. Ich spendete Brot und andere Rohstoffe und Nahrungsmittel für die Welt, nahm Patenschaften an, und hin und wieder Produkte von Haustürverkäufern entgegen. Meine Sitzungen, an welchen ich Pete rief, reduzierten sich auf ein Minimales. Ich hatte das Gefühl ich bräuchte ihn nicht mehr, käme sehr gut selbst mit meinem Leben zurecht.
Ryan gefiel diese Veränderung durchaus, das konnte man mehr als deutlich wahrnehmen. Doch bald schon sollte ihm dies nicht mehr reichen. Er wollte mehr. Wollte mich!

Seine Besuche häuften sich. Gut zwei bis drei mal die Woche tauchte er nun bei mir auf, machte immer konkretere Andeutungen. Irritierte mich.
Was genau wollte diese Tote Hülle von mir? Was sollte ich im groß bieten? Sexuelle Absichten waren jawohl mehr als Fehl am Platze. Wie sollte das zu bewältigen sein? Es musste etwas anderes hinter alledem stecken, doch was es genau auf sich hatte, konnte ich mir damals beim besten Willen nicht ausmalen.
Ich drängte all diese Gedanken einfach in den Hintergrund, konzentrierte mich ganz auf mein wieder gewonnenes, selbständiges, neues, Leben. Ich fühlte mich besser als jemals zuvor. War unbeschwert!
Es gab keine Ängste oder Sorgen mehr, über welche ich mir den Kopf zerbrechen musste. Keinerlei Nöte oder Mängel mehr. Keine Schmerzen oder Probleme. Nichts. Ryan blendete dies alles erfolgreich aus!
Seine Annäherungen wurden zusehends heftiger. Er wollte mir beim Essen gegenübersitzen, beim Fernsehen neben mir auf dem Sofa liegen, an meiner Seite schlafen und am besten jede einzelne Sekunde mit mir verbringen. Das ließ ich zwar beim besten Willen nicht zu, aber ganz abschieben konnte ich ihn auch nicht. Ich brauchte ihn!
Ich ließ ihn also zusammen mit mir Fernsehen und Essen, jedoch befand er sich dabei auf einem separaten, distanzierten Platz.

Den Kontakt zu Pete suchte ich nun mittlerweile nur noch vier bis fünf mal im Monat. Das bedrückte und kränkte ihn sichtlich, doch er sagte nichts. Zwar liebte ich in noch immer aus vollem Herzen und hätte ihn für nichts in der Welt vollständig gehen lassen, doch wie soll man einem Geist diese Gefühle offenbaren? Wie liebt man einen Toten, ohne Nekrophil zu sein? Ich erstickte also einfach jegliches Gefühl der Sehnsucht oder jedes Verlangen nach Nähe und Geborgenheit, in Handlungen. Und ich handelte wieder eine Menge, nachdem ich keine Angst mehr vor den Toten hatte. Seelenhandel!
Die Monate strichen nur so vorbei und Ryans Nähe zu mir, genügte ihm anscheinend. Er gab sich mit drei Besuchen, meist zum Fernsehgucken und Kaffee am Nachmittag und einem gemeinsamen Abendessen zufrieden und versuchte nicht noch enger an mich heran zu gelangen. Seine Beweggründe und Absichten waren mir jedoch auch weiterhin Schleierhaft. Ich nahm an, dass er sich einfach nur einsam fühlte und es ihm an Aufmerksamkeit fehlte. Er war wohl einfach nur eine verlassene, traurige Seele, die Gesellschaft suchte. Diese konnte ich ihm ohne Probleme bieten, denn wenn man über all die Toten, oder jene, welche mich zum rufen diesiger buchten, ging es mir genauso. Auch ich war seit Petes Tot einsam und allein. Verlassen!

An einen Abend mit Ryan erinnere ich mich noch sehr gut. Wir schauten einen meinen Lieblingsfilme mit Ashton Kutcher, „The Butterfly Effect“. Ryan erzählte mir, dass er auch gerne eine solche Fähigkeit besitze, auch die Zeit zurück denken und vieles ändern möchte. Zum Beispiel die Nacht, in welcher er starb.
Er erzählte mir, dass es alles damit angefangen habe, wie er mit zwei seiner Kumpels um die Häuser zog. Wie in alten Zeiten sollte es sein. Man würde das ein oder andere Bier, in Verbindung mit zwei, drei Schnaps runterspülen und sich danach auf die Pirsch nach dem weiblichen Geschlecht begeben. Es fing auch alles nach Plan an. Jeder trank um die 6 Bier, man trank eine Flasche Korn leer und der Abend sollte richtig los gehen. Alle waren besten Gemüts, wenn auch mit leichten Einschränkungen der Besinnung. Sie machten sich auf den Weg in das nahe gelegene, einstige Stammlokal, wo noch ein paar Gläser gehoben werden sollten, bevor es dann letztendlich in die gleich um die Ecke liegende Disco gehen sollte. Doch ab dem eintreffen in der Bar, geriet der Plan außer Kontrolle. Als sie in die Kneipe eintrafen herrschte dort schon mächtig dicke Luft. Eine Bande von Jungs provozierte und legte es ganz offensichtlich auf Prügel an. Ryan und sein Gefolge waren in der richtigen Stimmung, um den ungebetenen Gästen ihren Wunsch zu erfüllen. Sie zettelten eine gehörige Schlägerei an, an welcher sich die gesamte Bar beteiligte. Es flogen Stühle und Flaschen durch die Gegend, welche nur selten ihr Ziel verfehlten, doch bis auf das ein oder andere blaue Auge und eine hier und da vor Blut tropfende Nase, gab es keine besonderen Vorfälle. Doch dann eskalierte das Ganze. Als den Unruhestiften quasi keine andere Möglichkeit als die Flucht nach hinten übrig blieb, zückte plötzlich einer von ihnen eine P8. Eine stattliche kleine Handfeuerwaffe, welche ihren Einsatz unter anderem im Militär findet. Sofort stürzte sich eine Gruppe Umstehender auf den möglichen Schützen, doch zu spät, die Kugel erwischte Ryan direkt im Brustkorb. Das eintreffen des Notdienstes nahm er kaum noch war. Er starb wenige Minuten danach. Ab da an waren seine Erinnerungen verschwommen...

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